Ist Gaza unter Besatzung oder nicht? Free-Gaza-Boote in Kürze unterwegs

Vor mehr als zwei Jahren wurden alle Grenzübergänge in den Gazastreifen von der israelischen Armee geschlossen. Seitdem leben die 1,5 Millionen Einwohner in einem Belagerungszustand, der im vergangenen Juni verschärft wurde. Israel begründet die Belagerung mit Qassam-Raketenbeschuss aus der Region und der angeblichen Absicht der Hamas-Regierung, Israel zu vernichten. Gleichzeitig betonen israelische Regierungsmitglieder, dass die Besatzung des Gazastreifens mit dem Rückzug der israelischen Siedler und der Armee im September 2005 beendet sei und der Gazastreifen nun als Ausland betrachtet würde. Die Tatsachen vor Ort sprechen eine andere Sprache.

Die Belagerung hat einen desaströsen Effekt auf die humanitäre Situation im Gazastreifen, da sie die Menschenrechte, die wirtschaftlichen und die sozialen Rechte der Bevölkerung verletzt. Mehr als 200 Zivilisten starben bereits wegen dieser Einschränkungen. Außerdem beeinträchtigt die Belagerung den Fluss von Lebensmitteln, medizinischer Versorgung und weiteren Notwendigkeiten wie Treibstoff, Baumaterialien und Rohstoffe für verschiedene ökonomische Sektoren. Fabriken sind gezwungen zu schließen, die Arbeitslosenquote ist nach einer jüngsten UN-Studie die höchste der Welt und etwa 60% der Gaza-Haushalte sind nach UNWRA-Berichten auf Spenden angewiesen, weshalb die UNWRA Israel dringend auffordert, die Grenzen wieder zu öffnen. Die aktuellen blutigen Rivalitäten zwischen Hamas und Fatah tragen zusätzlich zum Gesamtproblem bei.

Kürzlich hat die Europäische Kommission eine Soforthilfe von 6,3 Millionen Dollar an die Ärmsten unter ihnen beschlossen, die bis zum Jahresende ausgezahlt wird. Gleichzeitig unterstützt Europa aber die Erstickung der Zivilbevölkerung und den Boykott der demokratisch gewählten Regierung und richtet damit einen Schaden an, der mit 6,3 Millionen Dollar nicht aufzuwiegen ist. Um die Not zu lindern, hatte sich ein palästinensisch-schottisches Paar vor wenigen Wochen mit einem LKW von Schottland auf den Weg gemacht, um eineinhalb Tonnen medizinische Güter in den Gazastreifen zu fahren. Derzeit stehen Khalil Al Niss und Linda Willis seit Tagen auf der ägyptischen Seite der Grenzmauer in Rafah und bekommen - von den Ägyptern - keine Genehmigung für die Grenzüberschreitung.

Ist Gaza also unter Besatzung oder nicht? Was bedeutet der so genannte Rückzug der israelischen Armee wirklich? Um diese Frage zu klären werden um den 7. August zwei Boote Zypern in Richtung Gaza verlassen. Vierzig Mitglieder des "Free Gaza Movement" sind derzeit unterwegs, um sich in Zypern zu treffen und die Boote vorzubereiten. Sie sind eingeladen von der Palestinian Medical Relief Society, vom Gaza Community Mental Health Programme, dem Palestinian Centre for Human Rights, dem palästinensischen Ministerium für Jugend und Sport, vom Lokalkomitee zum Stopp der Belagerung Gazas und von mehreren Bürgern aus Gaza. Rechtlich gesehen hat Israel mit diesem Unternehmen nichts zu tun, da die Schiffe weder in israelische Gewässer fahren noch israelische Häfen anlaufen, sondern direkt von internationalen Gewässern in Gaza-Gewässer segeln.

Einige Beobachter gehen davon aus, dass israelische Kräfte die Fahrzeuge anhalten werden, um ein klares Statement darüber abzugeben, dass die Bevölkerung Gazas gefangen genommen ist und keine Rechte besitzt außer denen, die ihr von Israel zugestanden werden. So kann Israel der Welt erneut demonstrieren, dass seine rechtlichen Vorstellungen höher rangieren als internationales Recht und die Menschenrechte. Am Morgen des 20. Juli etwa feuerten israelische Kriegsschiffe nach Angaben der Nachrichtenagentur Maan drei Stunden lang auf palästinensische Fischerboote nördlich und westlich von Gaza-Stadt. Die übliche Rechtfertigung für solche Aktionen ist der israelische Vorwurf (bzw. die "Befürchtung"), dass möglicherweise Waffen in das Gebiet geschmuggelt werden. Selbst die Waffenruhe, die die Hamas und zwölf weitere Gruppen seit dem 19. Juni halten, scheint für Israel keinen Unterschied herbeizuführen - außer dem, dass israelische Einmärsche sich momentan auf Nablus und die Westbank konzentrieren. Rechtlich gesehen haben all diese militärischen Maßnahmen keine Basis.

Die Free-Gaza-Bewegung besteht aus mehr als 50 Menschen von überall auf der Welt, die ihrem Gewissen folgen und die aktiv zum Ende von Gazas humanitärer Krise beitragen, indem sie den Menschen aus Gaza medizinische und soziale Hilfe bringen. Nur einige von ihnen werden tatsächlich auf der "Free Gaza" und der "Liberty" mitfahren. Es wird erwartet, dass etwa zehn Boote aus Gaza zu ihrer Begrüßung hinausfahren werden. Das Land-Team in Zypern hilft bei der Organisation und ist Teil der Medien-Crew, während die Boote auf See sind. Dies ist ein Präzedenzfall für weitere Boote, um eine Seebrücke zu bilden.

Nach der aktuellen Liste kommen die Passagiere der Boote aus Australien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Israel, Italien, Kanada, Libanon, Pakistan, Palästina, Schottland, Tunesien, den USA und Zypern. Insgesamt sprechen sie mehr als zwölf Sprachen. Unter den Reisenden sind Seeleute, Medienleute, Rechtsanwälte, Bauarbeiter, Ingenieure, Krankenschwestern, Lehrer, Ärzte, Sprecher, Professoren, Fotografen, Geistliche, Taucher und gewaltlose Aktivisten. Es sind Muslime, Juden, Christen und Humanisten. Der jüngste ist 22 und die älteste, Hedy Epstein, wird an Bord ihren 84. Geburtstag feiern.

Hedy Epstein überlebte den Nazi-Genozid und wurde zu einer Anwältin der Menschenrechte. Ihre Memoiren sind auf Deutsch unter dem Titel "Erinnern ist nicht genug" veröffentlicht. Die Anwältin und Medienexpertin Huwaida Arraf plant ihr Kommen ebenso wie Anne Montgomery, eine Nonne aus den USA, die mit dem Christian Peacekeeper Team in den Besetzten Gebieten gearbeitet hat. Jeff Halper vom Israeli Committee Against House Demolitions (ICAHD) ist auch dabei. Aus Kalifornien trifft unter anderen die 74-jährige Großmutter Mary Hughes-Thompson ein, deren siebte Reise nach Palästina dies seit 2002 ist. Ken O'Keefe, ein früherer Marine und Teilnehmer am Ersten Golfkrieg, fährt mit. Der pakistanische Filmemacher und Musiker Aki Nawaz gehört zum Dokumentar-Team an Bord und der Arzt William "Bill" Dienst ist der medizinische Experte, der bereits in Kliniken in Gaza gearbeitet hat und dies fortführt. Angela Godfrey-Goldstein, die mit ICAHD und Machsom Watch arbeitet, ist im Land-Team auf Zypern, zusammen mit Uri Davis, einem bekannten Autor aus Israel.

Viele internationale Organisationen und Einzelpersonen unterstützen das Free-Gaza-Projekt und erkennen die Wichtigkeit der Mission an, unter ihnen Noam Chomsky und Luisa Morgantini, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Der emeritierte Erzbischof Desmond Tutu schreibt: "Friede und Sicherheit, so entdeckten wir in Südafrika, kommen nicht aus Gewehrläufen ... Ich unterstütze den Bootskonvoi bei seinen Bemühungen." Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire fügt hinzu: "Ihr tragt die Hoffnungen und Wünsche von vielen Menschen auf der ganzen Welt mit euch." Die Unterstützerliste auf www.freegaza.org wird täglich länger, jetzt, wo das Datum näher rückt und die Weltöffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit dem Free-Gaza-Event zuwendet.

Die Free-Gaza-Bewegung ist ein humanitäres und basisdemokratisches Projekt und gehört keiner politischen Partei oder Agenda an. Einige öffentliche Stimmen haben versucht, es mit Gruppen- oder anti-Gruppeninteressen in Verbindung zu bringen, was die Gruppe jedoch vehement dementiert. In einer E-Mail eines der Teilnehmer, Monir Deeb, scheint der Geist des unvergessenen Grafs Folke Bernadotte durch: "Die Free-Gaza-Gruppe setzt ihre Zeit, ihr Geld und ihre Sicherheit ein, um gegen Unrecht zu sprechen. Es sind die gleichen Menschen, die in den schweren Zeiten der Naziverfolgung an der Seite der jüdischen Bevölkerung standen." Sein Vater aus Gaza, sagt Deeb, traf den schwedischen Diplomaten und UNO-Vermittler Bernadotte bei Verhandlungen im Sinai 1948.